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Überblick

 



Ausgangssituation

Für den wirtschaftlichen Betrieb schwerer Nutzfahrzeuge im Logistiksektor werden fortlaufend große Anstrengungen unternommen und Investitionen in zum Beispiel hochautomatisierte Logistikhubs getätigt, um betriebsbedingte Unterbrechungen des Fahrbetriebes durch Be- und Entladungen von Transportgut zeitlich immer weiter verkürzen zu können. Beim umweltpolitisch alternativlosen Übergang zu emissionsfreien Antriebstechnologien dürfen die hierfür notwendigen Nachlade- oder Tankvorgänge aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht zu einem Anstieg von Stillstandszeiten des rollenden Materials führen. Es bedarf daher einer neuen Generation von Nachladesystemen mit extrem hohen Ladeleistungen, den sogenannten Mega Charging Systems (MCS).     

Im Projekt MEGA-LADEN erfolgt derzeit die Entwicklung eines solchen Systems und dessen Erprobung im täglichen regulären Logistikbetrieb.

Bei Elektrobussen haben sich am Markt zwei Ladesysteme durchgesetzt – zur Übertragung geringer Leistungen das Nachladen mittels manuell bedienter Stecker sowie für die Realisierung sehr kurzer Nachladevorgänge mit sehr hoher Leistung das automatisierte Nachladen über einen Dachpantographen. Nutzfahrzeuge haben im Vergleich zu Elektrobussen auf dem Fahrzeugdach deutlich weniger Freiraum für die Montage eines mit erhöhtem Platzbedarf einhergehenden Pantographen. Ebenso ist die Vielfalt der Dachgestaltung sehr groß, da oft weitere Zusatzgeräte, wie Klimaanlagen und Dachspoiler den Bauraum stark begrenzen können. Der Anbringungsort für ein automatisches Kontaktsystem muss bei Nutzfahrzeugen daher an einer anderen Stelle vorgesehen werden.

Der Bereich unter dem Fahrzeug ist gegenüber dem Dach bei allen Herstellern weitgehend ähnlich aufgebaut. Eine hersteller- und typübergreifende Bauraumanalyse zeigte, dass die Montage eines geeigneten Kontaktpartners für ein konduktives Energieübertragungssystem bei allen überprüften Fahrzeugen möglich ist, zudem erfordert die Integration eines automatisierten Nachladesystems unterhalb des Fahrzeugbodens (Automated Charging Device Underbody ACD-U) bei Betrachtung aus sicherheitstechnischer Sicht deutlich geringere Aufwände im Vergleich zur Anordnung an der Fahrzeugseite.

 

Konzept und Funktionsweise des Unterbodenladesystems

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Das Kontaktsystem wird automatisiert betrieben, sodass der Bediener keinen Kontakt zu Elementen des Kontaktsystems oder dem Hochvoltsystem des Fahrzeugs hat. Ein Ladevorgang läuft gemäß folgendem vereinfachtem Schema ab:

  • Der Fahrer positioniert das Fahrzeug an einem mit einem Unterbodenladesystem ausgestatteten Ort, bspw. einem Parkplatz oder der Laderampe am Logistikzentrum, und sichert es gegen Wegfahren.
  • Der Ladevorgang wird durch einen Taster im oder am Fahrzeug angefordert.
  • Die Kontaktierung erfolgt im Weiteren komplett automatisiert.
    • Das Fahrzeug meldet sich bei der Ladestation an und authentifiziert sich.
    • Die Schutzabdeckung am ACD Counterpart öffnet.
    • Das ACD fährt aus und stellt eine Verbindung zum ACD Counterpart her.
    • Ein Elektromagnet im Kontaktkopf wird aktiviert, sodass eine große Kontaktkraft aufgebaut wird.
    • Die Ladeprozedur läuft gemäß ISO 15118-20 ab.
  • Beendet wird der Ladevorgang durch den Fahrer / Bediener.

 

Vorteile der MEGA-LADEN-Lösung

  • automatische Kontaktierung:
    • Der Fahrer / Bediener hat keinerlei Kontakt mit dem Kontaktsystem, wie bspw. einem Ladestecker.
    • Der Fahrer / Bediener hat keinerlei Kontakt mit dem Hochvolt-System des Fahrzeugs.
    • Es bedarf keiner speziellen Schulung des Fahrers - Schlagwort „elektrische Sicherheit“.
    • Da die max. Arbeit des Fahrers beim Drücken eines Tasters liegt, entfällt die Fragestellung hinsichtlich Arbeits- und Pausenzeiten.
  • Nur ein Aktor je Komponente:
    • Was nicht da ist, kann nicht kaputt gehen.
    • Positionstoleranzen werden rein passiv ausgeglichen.
    • Es bedarf keiner aktiven Komponente, damit das ACD im Anwendungs- oder Fehlerfall in seine Ruheposition (unterirdisch) verfährt.
    • Die Abdeckklappen werden beim Einfahren automatisch geschlossen und es kann keine versehentliche Öffnung in der Fahrbahn zurückbleiben.
  • Kontaktkraft durch Verwendung eines Elektromagnets:
    • Der Elektromagnet ermöglicht eine große Kontaktierungskraft.
    • Gleichzeitig erfolgt eine kraftschlüssige Verriegelung gegen unbeabsichtigte Dekontaktierung.
    • Einhaltung einer normgerechten Dekontaktierungsreihenfolge sowie
    • Abfallverzögerung zum sicherheitsgerechten Herunterfahren der Spannung auf der Infrastrukturseite.
  • Standardteile:
    • Der zu verbauende unterirdische Schacht ist ein Standardteil in der Beschaffung und Montage.
  • Sicherheit:
    • Ladestandard gemäß ISO 15118-20 „opp-charge“
    • Überfahrbarkeitsklasse D400, geprüft gemäß EN124
  • Infrastruktureller Aufwand
    • Es sind keine zusätzlichen Baumaßnahmen zur Positionierung des Fahrzeugs vorzunehmen.
    • Das ACD wird in einen Standardkunststoffschacht gesetzt, welcher schnell und kostengünstig in den Boden gesetzt werden kann.
    • Geeignet für jede Wetterlage, durch Anschluss an die örtliche Drainage sowie durch zusätzliche Heizelemente.

 

Fahrzeugseitiger Teil des Kontaktsystems (ACD Counterpart)

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Das ACD Counterpart - „Automatic Charging Device Counterpart“ kann, basierend auf einer hersteller- und typübergreifenden Bauraumanalyse, an allen elektrischen Nutzfahrzeugen angebracht bzw. nachgerüstet werden. Die elektrischen Auslegungskriterien sind: Überspannungskategorie II, Verschmutzungsgrad 3 sowie verstärkte Isolierung.

Das ACD Counterpart verfügt optional über eine integrierte Temperaturüberwachung. Eine Schutzabdeckung verhindert unbefugten Zugriff und bietet einen zusätzlichen Schutz gegen Verschmutzung. Aufgrund der gewählten Form wurde eine platzsparende und für den Zweirichtungsbetrieb geeignete Fangvorrichtung, für einen sicheren Zusammenschluss mit dem ACD, entwickelt. Das niedrige Systemgewicht und die kompakte Bauform sind hervorzuheben.

 

Wegseitiger Teil des Kontaktsystems (ACD)

Der wegseitige Teil des Kontaktsystems, das sogenannte ACD - „Automatic Charging Device“, muss sowohl die Verbindung zum Fahrzeug herstellen als auch die Nick-, Wank- und Höhenbewegungen des Fahrzeugs ausgleichen. Darüber hinaus sind unterschiedliche Ausfahrhöhen, in Abhängigkeit der verschiedenen Lkw-Typen zu realisieren. Das ACD befindet sich unterhalb der Fahrbahnoberfläche und schließt nach oben bündig mit ihr ab.

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Sicherheit und Standardisierung

Kurze Ladezeiten erfordern entsprechend große Nachladeleistungen. Dies soll bei dem in der Standardisierung befindlichen Systemansatz des MCS durch große Systemspannungen von bis zu 1250 VDC, vor allem aber durch sehr große Ladeströme von bis zu 3000 A erreicht werden. Entsprechend müssen die zugehörigen Energieübertragungssysteme besonders sicher und zuverlässig ausgeführt werden. Dies betrifft sowohl den Berührschutz, einzuhaltende Luft- und Kriechstrecken, die Vermeidung von Lichtbögen infolge unbeabsichtigter Dekontaktierung, ungewollte Erwärmungen als auch die Notwendigkeit einer Ladeablaufsteuerung. Des Weiteren flossen in den Entwicklungsprozess des automatisierten Kontaktsystems am Fraunhofer IVI bereits frühzeitig grundlegende Sicherheitsbestimmungen, die z. B. den Einklemmschutz und das Ausrutschen betreffen, ein.

Das MEGA-LADEN-Projektteam begleitet die Entwicklung der Systeme durch aktive Mitarbeit in nachfolgenden Standardisierungsgremien und Interessenverbänden auf nationaler und internationaler Ebene:

  • Gründungsmitglied des DKE-Arbeitskreises 353.0.13 (Konduktives automatisches Laden)
  • Mitglied des internationalen Spiegelgremiums IEC-TC69-WG14 (EV supply equipment with automated connection of a vehicle coupler)
  • Lösungsvorschlag »Automated Charging Device Underbody (ACD-U)« für privates und öffentliches Laden (Annex D der in Bearbeitung befindlichen zukünftigen Norm IEC 61518-26)
  • Stellvertretende Leitung der Arbeitsgruppe »ACD-U« der Charging Interface Initiative e. V. (CharIn)
  • Gründungsmitglied des DKE-Arbeitskreises 542.4.8 (ACD-U Interface)
  • Mitarbeit im DKE-Arbeitskreis 353.0.02 (Mega-Charging-System MCS)